Bestimmungsabende
Von den kleinen Insekten bis zu den großen Fragen rund um den Naturschutz
© Betty Glatzhofer
Betty, Mario, Sebastian und Samuel studieren im Master Naturschutz und Biodiversitätsmanagement an der Universität Wien. Gemeinsam haben sie den "Bestimmungsabend" am UBB ins Leben gerufen: ein Abend, an dem Insektenbegeisterte ihre Artenkenntnis verbessern können und gleichzeitig das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden soll. Hier sprechen sie über ihr Studium, die Bestimmungsabende und die Hoffnung in Zeiten der Biodiversitätskrise.
Zueinander haben die vier Studierenden durch ihre Leidenschaft für Insekten gefunden. Gerade nach der Corona-Pandemie und zu Beginn ihres Masterstudiums an der Universität Wien empfanden sie den Kontakt zu anderen Studienkolleg*innen als extrem wertvoll.
In der anfänglichen Vorstellrunde erzählen sie von ihren Interessen und beantworten, welches Insekt sie wären, auf welches sich ein Blick durch das Mikroskop lohnt und was wir von Insekten lernen können:
Information zu den Bestimmungsabenden
Die Bestimmungsabende am UBB (Djerassiplatz 1, 1030 Wien) finden jeden zweiten Mittwoch um 18:30 im Seminarraum 1.2 statt.
Es handelt sich hierbei nicht um eine Lehrveranstaltung, sondern um eine freiwillige Initiative von Studierenden. Eingeladen sind alle, die ihr Wissen rund um die Insektenvielfalt erweitern möchten.
Alle relevanten Infos können über die Whatsapp-Gruppe gefunden werden:
Ihr vier studiert den Master Naturschutz und Biodiversitätsmanagement an der Universität Wien. Wie hat das Studium zu eurem Naturverständnis beigetragen?
Betty: Das Wichtigste war für mich das Rausgehen. Bei den Exkursionen in unserem Studium hatten wir die Möglichkeit, intakte und weniger intakte Lebensräume zu sehen. Da sieht man dann auch, dass es im Naturschutz oft nicht auf einzelne Arten ankommt, sondern eher auf die Masse oder die Vielfalt, die verloren geht.
Mario: Die Exkursionen haben mir auf jeden Fall ein ganz anderes Verständnis für die Natur und die Biodiversität gebracht. Da wurde, gemeinsam mit dem Kennenlernen von Betty und Samuel, wieder meine Liebe zu den Insekten geweckt.
Samuel: Exkursionen sind auf jeden Fall wichtig, aber das fängt eigentlich schon viel früher an. Ich glaube, wir waren alle als Kinder viel draußen. Das hat mich so geprägt, dass ich als Erwachsener die Natur einfach wertschätzen gelernt habe.
Was meint ihr, wie können wir Menschen, die nicht gerade Biologie studieren, das Verständnis für die Biodiversität und ihren Verlust näherbringen?
Mario: Ich glaube, es ist der Kontakt zur Natur, der fehlt. Letzte Woche habe ich beispielsweise mit Freunden über die Biodiversitätskrise gesprochen und sie wussten nicht, was dieser Begriff überhaupt bedeutet. Daher habe ich erstmal erklärt, was Biodiversität* bedeutet und anschließend auch über potenziellen Gefahren von invasiven Neobiota** gesprochen. Kürzlich habe ich dann ein Foto von einem asiatischen Marienkäfer, der hier invasiv ist, von einer Freundin geschickt bekommen. Sie hat sich unheimlich gefreut, weil sie ihn an dem „M“ auf dem Halsschild erkannt hat. Sobald du also Menschen einmal konkrete Beispiele gibst und zeigst, wie du sie erkennen kannst, begeistern sie sich schnell dafür.
Betty: Ich glaube, uns allen werden oft Fotos geschickt. Meine beste Freundin ist beispielsweise letztens beim Radfahren stehen geblieben, weil sie einen Sisyphus-Käfer dabei beobachtet hat, wie er eine Kugel gerollt hat und war begeistert. Er wäre ihr vermutlich nicht aufgefallen, wenn ich ihr davon nicht erzählt hätte. Es ist also wichtig, dass man solche Beispiele auch Leuten zeigt, die mit diesen Themen weniger zu tun haben, weil sie sie sonst gar nicht sehen würden.
Samuel: Es gibt ja auch einen Grund dafür, warum Insektenhotels aktuell so einen Hype erfahren. Für den Artenschutz selbst sind sie quasi irrelevant. Was sie viel mehr tun, als Arten zu schützen, ist, Leute dazu zu bringen, sich mit der Natur zu beschäftigen.
Sebastian: Genau, aber dieser Kontakt müsste eigentlich schon viel früher, also in der Schule, passieren. Wir leben mittlerweile in einer komplett vernetzten Welt, wissen aber nicht, was um die eigene Haustür lebt.
Heimischer Marienkäfer © Helge May
Asiatischer Marienkäfer (mit schwarzem “w” auf dem Halsschild) © Helge May
Kommen wir zu euren Bestimmungsabenden am UBB. Wie kam die Idee zustande?
Betty: Wir kennen diese Bestimmungsabende eigentlich aus unserer Studienzeit in Graz. Wir hatten dort auch Binokulare, die man zum Bestimmen von Tieren oder Pflanzen oft braucht. Die hat man eben selten zuhause, weil man sie sich anfangs einfach oft nicht leisten kann.
Samuel: In Graz war auch die soziale Komponente toll. Alle interessierten Studierenden konnten bis abends zusammensitzen, haben teilweise Pizza bestellt oder ein, zwei Bier getrunken und nebenbei Insekten bestimmt.
Betty: Genau, und diese Gemeinschaft wollten wir auch in Wien aufleben lassen. Barbara Gereben-Krenn (Anm.: Department für Evolutionsbiologie an der Fakultät für Lebenswissenschaften) war von Anfang an begeistert und hat uns in der Umsetzung stark unterstützt, auch wenn die Bürokratie der Universität uns zu Beginn ein paar Steine in den Weg gelegt hat, zum Beispiel mit der Verfügbarkeit der Räumlichkeiten.
Worum geht’s bei den Bestimmungsabenden und wer kann mitmachen?
Samuel: Der Hauptfokus liegt auf dem Bestimmen verschiedener Insekten. Auch Exkursionen und kleine Vortragsreihen unter den Studierenden sollen stattfinden. Wichtig ist uns auch der Austausch mit und dem Lernen von Expert*innen bzgl. Bestimmen und Berufsalltag.
Mario: Genau, denn spätestens, wenn man die ersten Jobs erhält, die Artenkenntnisse erfordern, ist das Bestimmen wirklich ‚rewarding‘.
Betty: Ich habe am Anfang auch nicht gedacht, dass ich davon leben kann, Käfer zu bestimmen. Es gibt so viele Gruppen, für die es die notwendigen Expert*innen nicht gibt. Ich glaube, dass sich nach wie vor wenige Leute vorstellen können, tatsächlich in der Biologie zu arbeiten. Dann merkt aber eben, dass sich die Eigeninitiative auch auszahlt.
Sebastian: Die Bestimmungsabende sind jedenfalls für diejenigen gedacht, die die Insektenwelt näher kennenlernen möchten. Es sind alle herzlich eingeladen, auch wenn’s nur für einen Schnupperabend ist.
Wie fange ich am besten an, wenn ich ein unbekanntes Tier bestimmen möchte und keine Vorkenntnisse habe?
Samuel: Ich hätte jetzt mal „Beinchen zählen“ gesagt (lacht).
Mario: Oder man kommt zu unseren Bestimmungsabenden!
Sebastian: Oder man verwendet ‚iNaturalist‘. Das ist eine Fotobestimmungsapp bzw. -website. Beim Hochladen von Fotos wird dir bereits ein Vorschlag gemacht, welche Art das sein könnte, bevor du die Meinung von Expert*innen bekommst. So können beispielsweise auch Neunachweise oder auch Ausbreitungsmuster von Neobiota erfasst werden.
Eine letzte große Frage: Wir sind eine Generation, die die Auswirkungen der vielen gleichzeitig ablaufenden Krisen als erste “so richtig” spüren wird. Kriege, soziale Ungerechtigkeit, Klimakrise und Biodiversitätskrise:
Eine ehrliche Frage: Wie geht’s euch und was gibt euch Hoffnung?
Betty: Wenn ich viel darüber nachdenke, geht’s mir sehr schlecht. Gleichzeitig gibt mir die Arbeit, obwohl sie oft auch deprimierend ist, viel Hoffnung; dieser Kontakt mit Leuten, die alle gemeinsam für Veränderung kämpfen.
Sebastian: Ja, also die Zukunft sieht echt nicht rosig aus. Aber was mir zum Beispiel Hoffnung gibt, ist, dass ich im Tiergarten Schönbrunn zoopädagogischer Guide bin. Und wenn ich schon bei einer Führung ein Kind davon überzeugen kann, in der Natur zu sein oder den Kontakt dazu wieder aufzunehmen, dann habe ich schon gewonnen.
Samuel: Ja, also wenn man versteht, wie es um Klima und Biodiversität steht, und auch die Auswirkungen auf humanitärer Ebene – das ist schon ziemlich scary. Wenn ich aber neben meinem eigenen Handeln auch andere dazu bringe, dass sie beispielsweise einmal weniger die Woche ein Schnitzel essen oder sich überlegen, im Garten fünf Quadratmeter weniger alle drei Wochen zu mähen, dann sind das auch schon kleine Schritte.
Mario: Ich glaube, ich kann negative Gedanken recht erfolgreich ausblenden und mich stattdessen eher auf meine Arbeit und meinen Impact, der mir auch wieder so viel zurückgibt, konzentrieren. Den großen gesellschaftlichen Wandel, der eben notwendig ist, kann ich als Einzelperson nicht herbeiführen. Aber der passiert eh gerade. Langsam – aber er passiert. Und die Arbeit, die wir und viele andere Menschen im kleinen oder großen Sinne machen, ist ein Teil dazu. Schließlich hängt es auch von der Politik ab. Wir dürfen bis dahin jedenfalls nicht Trübsal blasen und das Negative auf uns niederschmettern lassen, bis es uns lähmt. Das soll auch nicht die Zukunft sein, in die wir alle hineinleben.
Samuel: Genau, und wenn dieses Interview nur eine Person dazu bringt, bei uns vorbeizukommen und sich für Insekten zu interessieren, dann hat das ja auch schon was gebracht.